Hinter den Kulissen des Weinbaus
Wer hinter dem Staatsweingut Weinsberg nur ein Weingut vermutet, hat weit gefehlt. Die Basis des Unternehmens ist die „Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg“. Das internationale Renommee der Lehranstalt spiegelt sich in der ausgezeichneten Qualität der Produkte wieder.
Der erste Eindruck ist die moderne und spektakuläre Architektur des Verkaufsgebäudes. Die reduzierte Formensprache weckt in mir den Wunsch nach schnörkellosen Gewächsen. Der Tag beginnt mit der Begrüßung des Direktors Dr. Günter Bäder und Martin Schwegler, Leiter Marketing und Vertrieb. Hier höre ich zum ersten Mal an diesem Tag die Worte „Ganzheitliches Weinmarketing“. Was ist das denn? War mein Wunsch nach schnörkellosen Weinen etwa schon zu Ende? Ganz im Gegenteil, es war der Anfang einer Begegnung der Superlative.
Die Staatliche Lehr- und Versuchanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg, ist eine von zwei Lehrinstituten in ganz Deutschland. Schüler aus der ganzen Welt kommen hier zusammen um anerkannte und prämierte Önologen zu werden.
Aber nun zurück zum ganzheitlichen Weinmarketing. Es geht darum Weine herzustellen je nach Anlass und Zielgruppe. Von der Rebe bis zur Flasche. Der Ursprung liegt in der Rebenzüchtung und Rebenveredelung. Die Weinbautechnikerin Anke Wirtemberg weiht uns in ihre Geheimnisse ein: Welche Rebe wächst in welcher klimatischen Region? Wie verändert sich dann der Geschmack?
Heutzutage geht es auch immer um biologische und schonende Weine. Welche Reben benötigen wenig oder keine Pestizide. Wir reden hier von teilresistenten Sorten. Diese Kreuzungen oder auch Klonengemische führen zu erstklassigen Ergebnissen. Von der ersten Kreuzung bis hin zum flächigen Ausbau vergehen meist mindestens dreißig Jahre.
Dr. Günter Bäder (Direktor), Rudi Pfitzer und Martin Schwegler (Leiter Marketing und Vertrieb).
Die Veranstaltungs-Teilnehmer im Weinberg.
Der weitere Weg führ uns in den Weinberg. Christoph Schiefer, der leitende Weinbau-Ingenieur, begleitet uns. Hier im Weinberg werden alle nationalen und internationalen Reben unter dem Gesichtspunkt der Klimaerwärmung getestet. Rebsorten wie zum Beispiel Pinotage und Nebiolo sind für unser Klima nicht geeignet, Cabernet Sauvignon und Syrah haben Zukunft. Alle vom Staatsweingut Weinsberg angepflanzten Reben kommen komplett ohne Pestizide aus. Getestet werden auch neue Anpflanztechniken zur besseren Erntefähigkeit an Steillagen.
Weiter geht es mit Oliver Schmidt, der verantwortlich für den Versuchskeller und die Kellerwirtschaft ist: der „Hexenkeller“. Pro Jahr werden hier 300-400 Weine getestet und ausgebaut. Ein wichtiger Faktor ist die Dichte des Weins. Durch die Gärung sinkt die Dichte des Weins und die Flüssigkeit wird schwerer ausgedrückt in der Maßeinheit Öxle. Es ist das Mehrgewicht eines Liter Weins nach der Gärung. Im Versuchskeller werden prinzipiell zwei Gärverfahren angewandt. Das thermische Verfahren ist ein schnelles Verfahren für Weine mit viel Frucht. Die Maischegärung erzeugt Weine mit viel Volumen und eher trockenem Geschmack. Die besten der Weine werden dann noch mit der Lagerung in getoasteten Eichenfässern oder auch mit Eichenchips veredelt. Oliver Schmidt zeigt uns noch, wie in früheren Zeiten die Maische in den Fässern gestoßen wurde damit sich alles gut vermengt. Und um die Ergebnisse dann zu beurteilen, wenden wir das römische Prinzip an: Colore – Odore – Sapore. Farbe, Geruch, Geschmack.
Eine Versuchsflasche; Teil des komplexen Entstehungsprozesses des Weins.
Stampfen der Beeren im Fass.
Was nun folgt, hat mir die Sprache verschlagen. Wir betreten das Sensoriklabor, das so in Europa einzigartig ist. Herr Funk, Dozent für Mikrobiologie und Sensorik, nimmt uns mit auf die Reise in eine andere Welt. Das Sensoriklabor ist komplett in weißer Farbe mit einzelnen Degustationsboxen ausgestattet. Die Boxen können mit roter, grüner und weißer Farbe ausgeleuchtet werden. Um die Farbe der Weine hervorzuheben oder zu neutralisieren. Je nachdem, ob die Nase oder das Auge geschärft werden soll. Hier erfahren wir auch, dass der Mensch auch mit dem Gaumen riechen kann. Wir beginnen mit einem Kerner, Justinus K. Justinus Kerner war Dichter und Oberamtsarzt in Weinsberg. Beim Kerner handelt es sich um eine Kreuzung aus Trollinger und Riesling. Sein Charakter ist frisch, rassig, riesling-ähnlich mit feinem Muskatton. Seine Farbe ist Gelb bis Zitronengelb. Seine Aromen sind Birne, Orangenkonfitüre, schwarze Johannisbeeren, Aprikose und Maracuja, der übergeordnete Geruch sind Zitrusfrüchte. Was für ein Erlebnis. Es folgen noch ein Riesling und ein Lemberger. Wussten Sie, dass Lemberger in Österreich Blaufränkisch heißt?
Der Sensorikraum, der wahlweise in Weiß, Grün oder Rot ausgeleuchtet werden kann.
Sensorikraum
Das Sortiment des Staatsweingutes Weinsberg umfasst jedoch noch viel mehr. Eine eigene Brennerei die das Obst aus eigenen 35 Hektar Obstbau verarbeitet. Hergestellt werden Brände und Liköre. Von dem verkosteten Quittenwasser schwärme ich noch heute. Jürgen Belz, der Brennermeister, leitet uns sachkundig durch die Vorstellung der Brennerei. Ergänzt wird das Sortiment durch eigene Essige.
Selten habe ich so viel Sachkompetenz und tolle schnörkellose Gewächse auf so hohem Niveau erlebt. Und außerdem weiß ich jetzt, was es bedeutet, ganzheitliches Weinmarketing zu betreiben.
Vielen Dank an das Staatsweingut Weinsberg.